Kathrin Altwegg: Weltraumforscherin mit Ausstrahlung
Als Projektleiterin des Massenspektrometers ROSINA, das an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta den Kometen «Chury» vermessen hat, stand sie plötzlich im Rampenlicht: Kathrin Altwegg blickt auf eine eindrückliche Karriere als Weltraumforscherin zurück, die so gar nicht geplant war.
Von Brigit Bucher
Steckbrief
- Geboren: 11.12.1951
- Herkunft: in Klus/Balsthal geboren und aufgewachsen
- Fachrichtung: Physik
- Zivilstand: verheiratet
- Kinder: 2 erwachsene Töchter
- 2015 ausgezeichnet mit dem HIV Preis
Kathrin Altwegg hat ihre akademische Karriere nicht geplant. Lachend erzählt sie: «Zum Berufsberater ging ich vor allem, weil man dann frei bekam.» Dieser fand ein naturwissenschaftliches Studium passend, empfahl ihr aber statt der Physik die Chemie, da dieses Fach zumindest von ein paar anderen Frauen belegt werde. Entschieden hat sie sich dann doch für Physik und war prompt die einzige Frau in ihrem Jahrgang an der Uni Basel. Als junge Studentin war sie mit Vorurteilen konfrontiert; so empfahl ihr ein Professor, doch besser im Warenhaus EPA Strümpfe verkaufen zu gehen. «Heute frage ich mich schon, wie ich mir das alles gefallen lassen konnte», sagt Altwegg nachdenklich. Zu viel Ehrfurcht habe sie gehabt und Angst um ihr Studium.
«Das soll alles gewesen sein?»
1980 doktorierte Altwegg an der Uni Basel. Während ihrer Dissertation lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen, ebenfalls ein Physiker. Gemeinsam gingen sie als Postdocs nach New York. Während den zwei Jahren an der New York University publizierte Altwegg nicht weniger als sechs Paper. «Das war ein grosser Erfolg für mich, aber ich fragte mich, ob das alles gewesen sein sollte. Ich wollte etwas Sinnvolles tun, etwas erfinden, ein Telefon oder so», erzählt sie schmunzelnd.
Gemeinsam kehrten die beiden zurück in die Schweiz, ihr Mann habe in Bern eine Stelle in der Industrie gefunden. Sie hingegen sei nicht mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden: «Für solche Stellen in der Industrie wollte man damals einfach einen Mann und basta.» So bewarb sie sich an der Universität Bern mit Erfolg auf eine Stelle in der Forschungsgruppe von Professor Hans Balsiger, die zu der Zeit am Bau eines Instruments für die Giotto Sonde zum Kometen Halley beschäftigt war.
Wieder die einzige Frau
«Hier war von Anfang an Teamwork angesagt, das hat mir sehr zugesagt.» Allerdings war sie auch hier zunächst die einzige Frau. Sie habe zwar immer ein gutes Verhältnis zu ihren gleichaltrigen männlichen Kollegen gehabt, aber: «Manchmal fehlte mir eine Arbeitskollegin. Es gibt halt doch Dinge, über die man mit dem anderen Geschlecht nicht gleich gut reden kann.»
Nach der Geburt der beiden Töchter reduzierte Altwegg ihr Pensum bis auf 35 Prozent. Rückblickend sagt sie: «Ich merkte, dass ich nicht mehr so recht dazu gehörte und wieder zur Einzelgängerin wurde.» Besonders verletzt hätten sie Nachbarinnen, die fanden, sie kümmere sich nicht genügend um ihre Kinder. «Ich habe mich sehr wohl gekümmert. Und für meine Kinder war es gut, dass ich nicht immer zu Hause war. Ich wäre sonst unzufrieden geworden und wohl auch schwer auszuhalten – für mich selbst und die anderen».
Im Fluss des Lebens
1995 nahm sie ihre Habilitation in Angriff: «Dabei ging es weniger um meine akademische Karriere als vielmehr darum, etwas abzuschliessen.» Vieles in ihrem Leben sei so passiert: «Im Fluss des Lebens halt.» Als grösstes Hindernis empfand sie in dieser Zeit, dass man unabhängig vom Beschäftigungsgrad nur sechs Jahre Zeit hatte für die Habilitation: «Ich konnte wegen den Kindern nicht 100 Prozent arbeiten. Zudem sollte man zu diesem Zeitpunkt der Laufbahn viel netzwerken und an Konferenzen teilnehmen.» Nach sechs Jahren habe sie jeweils jedes Jahr die Kündigung erhalten. Ihr Chef Hans Balsiger sei Jahr für Jahr zur Unileitung marschiert und habe sich für sie eingesetzt. Sowieso war er derjenige, der sie ohne Wenn und Aber gefördert habe: «Ich erzähle gerne die Geschichte, wie Hans Balsiger mich gefragt hat, ob ich Projektleiterin von ROSINA werden möchte, dem Massenspektrometer, welches an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta Daten des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko sammeln sollte.» Das war ein Projekt mit grossem finanziellen Volumen, bei dem auch der Bund und die Schweizer Industrie involviert waren. Einige Beteiligte waren skeptisch und meinten, das gehe doch nicht, eine Frau Teilzeit für die Projektleitung. «Und dann ist Hans Balsiger hingestanden und hat gesagt, sie kann das, Punkt.»
Plötzlich im Rampenlicht
Mit der Projektleitung von ROSINA hatte Kathrin Altwegg immer mehr öffentliche Auftritte. Ist sie auch manchmal mit Neid konfrontiert worden ob all dem Erfolg? Sie überlegt lange und sagt: «Solange ich im Hintergrund stand, war ich als Frau in der Männerdomäne akzeptiert. Als dann der wissenschaftliche Erfolg kam, war das für einige schon schwierig zu akzeptieren – auch dass ich plötzlich so im Rampenlicht stand.» Altwegg war auch die erste Direktorin des universitären Kompetenzzentrums Center for Space and Habitability CSH, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Fachgrenzen hinaus zusammenarbeiten. Dieses Amt habe ihr Freude bereitet, auch wenn es mit viel zusätzlicher Arbeit verbunden gewesen sei.
Nach der grössten Errungenschaft in ihrer Karriere gefragt, erzählt sie von den überwältigenden Emotionen, als ROSINA den Kometen vermass. Die Missionsphase in einem Projekt sei immer stressig, aber sie sei beindruckt gewesen vom Teamgeist. «Es kam die Weihnachtszeit, das war dem Kometen jedoch egal», lacht sie. Sie wollte niemanden verknurren, an Heiligabend Daten zu überprüfen. Deshalb entschied sie: «Das ist Sache der Chefin, ihr macht frei.» Dann sei fast Streit ausgebrochen um den Dienst an Silvester und Neujahr.
Den richtigen Chef oder die richtige Chefin finden
In ihrer Forschungsgruppe waren häufig mehr Frauen als Männer. «Das war kein bewusster Entscheid. Ich scheine Forscherinnen einfach anzuziehen», sagt Altwegg. Sie ist sich nicht sicher, ob es eine Frauenquote braucht in der Wissenschaft. «Es darf jedoch nicht sein, dass sich eine Frau entscheiden muss zwischen Karriere und Kindern. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum es immer noch kaum Teilzeitprofessuren gibt».
Altwegg setzt sich nicht nur für Frauenförderung, sondern auch für die Nachwuchsförderung ein: «Ich war immer engagiert, wenn es um Infotage für Gymnasien oder den Zukunftstag ging. Dabei ist mir aufgefallen, dass es sich lohnt, etwas Spezielles für Mädchen zu machen, um sie für Naturwissenschaften zu begeistern.» Ihre beiden Töchter sind Materialwissenschaftlerin und Mathematikerin, also hat sie etwas richtig gemacht? Altwegg lacht: «Mein Mann ist ja auch Physiker, also ist es wohl nicht allein mein Verdienst. Zudem hätte ich auch gar nichts dagegen gehabt, wenn sie einen anderen Weg eingeschlagen hätten.»
Ihr Rat an junge Wissenschaftlerinnen ist, den richtigen Chef oder die richtige Chefin zu finden: «Ich glaube, eine Karriere steht und fällt damit, ob man Unterstützung erhält – auch wenn man beispielsweise Teilzeit arbeiten will.»
Wertschätzung über die Wissenschaft hinaus
Sie habe immer gerne gearbeitet, mehr erreicht, als sie je wollte und habe viel Wertschätzung erhalten. Besonders gefreut hat sie, dass sie mit dem Preis des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern ausgezeichnet worden ist: «Das ist eine nicht wissenschaftliche Auszeichnung, die zeigt, dass wir mit unserer Forschung auch bei der Wirtschaft angekommen sind.»
Die Forschung habe sie auch verändert. «Angesichts der Dimensionen des Weltraums fühlte ich mich am Anfang ganz klein. Dann wurde mir aber schnell klar, dass wir eine Verantwortung haben.» In der Weltraumforschung gehe es um Fragen über das Leben, woher es komme und was danach sei. «Die Erde werden wir vielleicht kaputt machen, aber schon beim Mars hört es auf. Die Menschheit kann dem Universum nichts anhaben – das ist beruhigend.»
Zur Autorin
Brigit Bucher arbeitet als Leiterin Media Relations und ist Themenverantwortliche «Space» in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.