Dr. med. Bettina Isenschmid, M.M.E. Chefärztin, Kompetenzzentrum für Essverhalten, Adipositas und Psyche, Spital Zofingen und Prof. Dr. Julia Gelshorn, Kunstgeschichte, Universität Freiburg

Essstörungen und natürlicher Körper; Psychiatrie und Kunstgeschichte

Mittwoch, 20.04.2016, 18:15 Uhr


Veranstaltende: Collegium generale
Redner, Rednerin: Dr. med. Bettina Isenschmid, Chefärztin, Kompetenzzentrum für Essverhalten und Psyche, Spital Zofingen und Prof. Dr. Julia Gelshorn, Kunstgeschichte, Universität Freiburg
Datum: 20.04.2016
Uhrzeit: 18:15 - 19:45 Uhr
Ort: Auditorium maximum, Raum 110
Hauptgebäude
Hochschulstrasse 4
3012 Bern
Merkmale: Öffentlich
kostenlos

Seelenhunger - vom Sinn der Essstörungen

Dr. med. Bettina Isenschmid, M.M.E. Chefärztin, Kompetenzzentrum für Essverhalten, Adipositas und Psyche, Spital Zofingen

Zusammenfassung des Referats

Essstörungen sind bedeutsame psychosomatische Erkrankungen v. a. bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Symptome sind mannigfaltig, von zwanghaftem Diäthalten über Gewichtsangst, verschiedenen körperlichen und psychosozialen Folgen. Missbrauch von Appetitzüglern und Abführmitteln ist häufig, ebenso Bewegungsdrang. Die Magersucht i. e. S. ist gekennzeichnet durch einen BMI unter 18,5 kg/m2, Nahrungsrestriktion, Gewichtsphobie sowie meist sekundäre Amenorrhoe. Typische Persönlichkeitsmerkmale sind Ehrgeiz, Zähigkeit, Introvertiertheit und starkes Harmoniebedürfnis. Die Bulimie ist gekennzeichnet durch dauernde Beschäftigung mit Körpergewicht, Ernährung und Figur, dazu Kontrollverluste mit Essanfällen und kompensatorischem Verhalten. Eine neue Essstörung ist die Orthorexie, ein komplexes und zeitintensives Ernährungsmanagement mit zunehmendem Verzicht und intensiven Schuldgefühlen. Für alle Essstörungen charakteristisch ist Dichotomes oder Schwarz/Weiss-Denken. Nach den Ursachen von Essverhaltensstörungen gefragt, müssen immer verschiedene Bereiche berücksichtigt werden, dies sind biologisch-genetisch Faktoren, psychologische wie auch soziale Faktoren. Im Einzelnen sind zu nennen sind unterschiedliche Wahrnehmung von Hunger und Sättigung und unterschiedlicher Energieverbrauch des Organismus, fremdbestimmter Selbstwert sowie dysfunktionale Gedankengänge in Bezug auf Körper und Figur,, soziale Vorbilder und Rollenideale sowie belastende Life-Events wie etwa Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen. Auch zeichnet sich das familiäre System mit Essverhaltensstörung durch eine besondere Dynamik aus, häufig sind unklare Grenzen bis zu Rollendiffusion vorhanden, die Familie definiert sich über ein asketisches oder leistungsorientiertes Verhaltensideal, kindliche Bedürfnisse werden häufig missinterpretiert und anstatt mit interpersoneller Zuwendung mit Fütterung beantwortet. Allgemein besteht häufig eine Fassade der Pseudoharmonie, was ein sog. „anger-in“ –Verhalten zur Folge hat. Die Situation der Angehörigen, sobald eine Tochter oder ein Sohn erkrankt, ist von Schuld-, Scham- und Versagensgefühlen, jedoch auch von Wut, Angst und Trauer gekennzeichnet. Aus der Ohnmacht kommt es häufig zu gewalttätigen Spannungen vor allem während den Mahlzeiten. Leider ist die Prognose bei  Essstörungen nach wie vor ungünstig. Ca. 10% der Anorektikerinnen sterben an ihrer Erkrankung, nur knapp 30% aller Betroffenen werden gesund. Dabei sind Erkrankungsalter und -dauer, Ausprägungsgrad, Soziales Umfeld und psychiatrische Komorbiditäten ausschlaggebend. Daher sollen Betroffene frühzeitig und respektvoll angesprochen werden, sie und ihre Angehörigen müssen unterstützt werden möglichst rasch therapeutische Hilfe zu beanspruchen.

 

Natürlicher Körper und wahrhafter Ausdruck im späten 18. Jahrhundert

Prof. Dr. Julia Gelshorn, Kunstgeschichte, Universität Freiburg

Zusammenfassung des Referats

Der Beitrag blickt auf Körperideale des europäischen 18. Jahrhunderts zurück, die insbesondere im ästhetischen Diskurs verhandelt wurden und in der bildenden Kunst, in Tanz, Theater und Mode sowie im alltägliche Benehmen zum Ausdruck kamen. Es lässt sich zeigen, dass die ästhetische Wahrnehmung des Körpers einer ständigen visuellen Erziehung unterworfen war, die von der Schönheitsnorm der «Grazie» geleitet war, einem performativen und sozialen Distinktionsmodell, das sich als paradoxe ‚Kunst ohne jede Künstlichkeit‘ auszeichnet. Dennoch gilt diese höfische Grazie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend als affektiert und künstlich und wird durch ein Ideal von Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit abgelöst, das sich indes nur als eine Verschiebung der Disziplinierung vom «mechanischen» zum «reizbaren» Körper erweist.

 

Das Referat wurde abgesagt.