«Was macht das Leben lebenswert, was den Menschen glücklich?»
Eigentlich ist es eine einzige Frage, die Philipp Schmutz im Leben umtreibt. Um sie zu beantworten, hat der 39-jährige Mann mit dem offenen Blick Psychologie studiert. Die Antworten, die der Experte zum Thema Depression und Suizidalität im Studium an der Universität Bern erhalten hat, waren ihm nicht Antwort genug. Deshalb absolviert er die Weiterbildung MAS Psychotherapie Bern.
Von Christine Valentin, 2018
Wer den Namen Philipp Schmutz bei Google eingibt, stösst schon bald auf einen Hinweis zum Jugendroman «Allan: Wenn die Farben des Lebens verblassen» sowie zu Fernsehsendungen mit dem Thema «Suizid von Jugendlichen», bei denen er als Experte auftritt. Im Roman von Philipp Schmutz wird ein Jugendlicher beschrieben, der aufgrund einer Krise Suizidgedanken hegt, diese jedoch überwindet und später wieder ein glückliches Leben führt. Das Buch wurde 2016 vom «Berner Bündnis gegen Depression» herausgegeben. Dort arbeitet der Berner Psychologe aktuell mit einem 30-Prozent-Pensum, zu weiteren 50 Prozent ist er beim Psychiatriezentrum Münsingen in der Klinik für Depression und Angst angestellt. Die restlichen 20 Prozent seiner Arbeitszeit widmet der Ehemann und Vater von zwei kleinen Töchtern der herausfordernden Weiterbildung an der Universität Bern, mit der er 2014 gestartet ist. Ende Jahr will er die letzten Anforderungen erfüllt haben, um den MAS Psychotherapie Bern abschliessen zu können.
Modern family life
Wie sieht denn bei diesem anspruchsvollen Pensum mit drei Arbeitsschwerpunkten die Beteiligung von Philipp Schmutz an der Erziehungsund Hausarbeit aus? «Meine Frau ist sicher mehr daheim als ich», so Schmutz, «aber ich bin ein Familienmensch und deshalb vor und nach der Arbeit meist daheim. Dann kümmere ich mich – im Rahmen meiner Möglichkeiten – intensiv um die Familie.» Dazu kommen die Kita und die Grosseltern, welche regelmässig die Betreuung der Kinder übernehmen. Modern family life 2018 halt, in dem Philipp Schmutz dennoch ab und zu die Musse findet, um mit dem Velo durch den Wald zu flitzen oder ein Buch zu lesen. Oder mit seinen Liebsten irgendwohin zu reisen. «Fasziniert bin ich von Nordeuropa, Holland aufwärts», erzählt er mit leuchtenden Augen, «aber auch Südeuropa oder Südostasien gefallen mir gut. Ich fühle mich an vielen Orten wohl.» Doch von den Ferien zurück zur Arbeit und zur Weiterbildung. Was ist es denn genau, das den durchaus fröhlichen Psychologen so am Thema Depression und Suizid interessiert, dass er mit diesen Themen die meiste Zeit des Tages verbringt? «Das hat keinen persönlichen Hintergrund, das interessiert mich einfach. Begonnen habe ich damit bei meiner früheren Arbeitsstelle, bei der Berner Gesundheit», erinnert sich der Psychologe, «dort ging es vor allem um das Thema Prävention.» Die Frage von damals, wie man einen Suizid verhindern kann, hat sich gewandelt. «Heute», so Schmutz, «will ich vor allem eines wissen: Was macht das Leben lebenswert? Was braucht der Mensch für ein glückliches, sinnerfülltes Leben?» Für den angehenden Psychotherapeuten ist das eine der zentralsten Fragen überhaupt, die uns alle betrifft.
Das Leben vom Ende her denken
«In der Arbeit mit Patienten, die in einer Lebenskrise stecken», so Schmutz, «nutze ich diese Frage manchmal, indem ich mit ihnen das Leben vom Ende her anschaue. Wie hat ihr bisheriges Leben ausgesehen, welches sind ihre Wünsche – und werden diese erfüllt, wenn es so wie bisher weitergeht? Daraus ergibt sich dann fast automatisch die Frage: «Was muss sich ändern, damit ich am Ende meiner Zeit mit meinem Leben glücklich bin?» Diese Frage war für Philipp Schmutz auch ausschlaggebend, um den «nicht ganz billigen» MAS in Psychotherapie an der Universität Bern zusammen mit drei anderen Männern und sechzehn Frauen anzupacken – und dafür von seinem Lohn jeweils einen rechten Teil abzuzwacken. Ihm geht es nicht darum, eine eigene Psychotherapiepraxis zu eröffnen, seine Zukunft sieht er weiterhin in der Klinik. Aber im Gedankengut von Klaus Grawe, der den Studiengang 1992 gestartet und geprägt hat, und seinem Nachfolger Franz Caspar (siehe Kasten) findet er die entscheidenden Antworten auf seine Frage. «Es geht in der Weiterbildung nicht nur darum, wie man die Symptome psychischer Störungen wegbekommt, sondern um die Frage: Was macht den Menschen glücklich? Grawe konnte mit Forschungen belegen», so der Berner Psychologe, «dass es verschiedene Grundbedürfnisse des Menschen gibt. Da gibt es das Bedürfnis nach Bindung sowie das Bedürfnis nach Lust und Unlustvermeidung – das heisst, ich möchte möglichst viel Freude in meinem Leben haben und so wenig Schmerz wie möglich. Es gibt das Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung», fährt er fort, «und auch das Bedürfnis nach einer Erhöhung des Selbstwerts. Heute wird zudem das Bedürfnis nach dem Sinn diskutiert, nach der Sinnhaftigkeit des Lebens. Die Theorie dazu lautet: Wenn es jemandem gelingt, diese Grundbedürfnisse seines Lebens zu befriedigen, wird er ein glücklicher Mensch. Und falls nicht, wird er unglücklich. Das ist dann ein fruchtbarer Boden für psychische Störungen.»
Der Werkzeugkasten für den riskanten Alltag
Philipp Schmutz hat in den letzten Jahren viel gelernt und dank der Weiterbildung einen – wie er sagt – umfangreichen, forschungsbasierten Werkzeugkasten erhalten, der mit jedem Kurstag und den Praxiserfahrungen weiter gefüllt wird. «Mit diesen Instrumenten kann ich massgeschneiderte Interventionen anbieten, um Personen in einer Lebenskrise zu helfen. Ich schaue mir den Patienten und seine Situation an und entscheide erst dann, welches Werkzeug ich aus dem Kasten für diesen Fall anwende. Gelernt habe ich auch», resümiert er, «mit interaktionell schwierigen Menschen gut und konstruktiv umzugehen, weil ich heute erkennen kann, was dieser Mensch braucht. In der Therapie verhalte ich mich dann so, dass die Bedürfnisse und Ziele dieser Patientinnen und Patienten gestillt werden können. Das ist eine der grössten Stärken dieser Weiterbildung, die sie sicher von anderen Weiterbildungen abgrenzt.» Zu seinem Beruf gehört aber auch das Risiko zu scheitern, laut Philipp Schmutz ist das einfach Teil der Realität. «Wir müssen akzeptieren, dass wir mit Menschen arbeiten, die schwer krank sind und oft auch seit Jahren suizidal. Mir ist das zum Glück erst einmal passiert. Eine Patientin hat sich nach dem Austritt aus der Klinik umgebracht. Das ist eine ganz gefährliche Zeit, die Zeit nach dem Austritt. Ich hatte vorher viele Abklärungen gemacht, die ergaben, dass die Patientin nicht suizidgefährdet war. Sie hat sich dann trotzdem das Leben genommen.» Dank Gesprächen auf der Station konnte Philipp Schmutz den Vorfall gut verarbeiten: «Ich habe geschaut, was ich daraus lernen kann und gewisse Konsequenzen gezogen.» Sein Ziel hat er auf alle Fälle nicht aufgegeben: Die Antwort auf die Frage zu finden, was den Menschen glücklich macht.
Wer als Psychologin oder Psychologe eine Psychotherapie-Praxis aufmachen will, braucht seit 2013 eine anerkannte wissenschaftliche Weiterbildung wie etwa den MAS Psychotherapie der Universität Bern. Das postgraduale Masterstudium wurde schon 1992 vom renommierten Psychotherapieforscher Klaus Grawe (1943–2005) aufgebaut. Grawe hatte von 1979 bis zu seinem Tod den Lehrstuhl für Klinische Psychologie der Universität Bern inne. Später wurde der Studiengang von seinem Nachfolger Franz Caspar weiterentwickelt, der den Master-Studiengang heute noch leitet.
Die berufsbegleitende und praxisorientierte Weiterbildung dauert rund vier Jahre und führt zum Abschluss «Master of Advanced Studies in Psychotherapy, Universität Bern (MASPT Unibe)». Einen Schwerpunkt setzt der Studiengang auf die Konzepte und Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie.
Der MAS Psychotherapie Bern ist jedoch nicht an einer Therapieschule orientiert, sondern bezieht auch interpersonale, system- und klärungsorientierte Ansätze mit ein, soweit sie sich empirisch als wirksam erwiesen haben.
Die ersten zwei Jahre des MAS Psychotherapie Bern sind nach einem Lehrplan strukturiert. Die rund 80 Kurstage werden am Freitag oder Freitag/ Samstag angeboten. Zur Weiterbildung gehören auch die klinische Tätigkeit und die Durchführung eigener Therapien an der Psychotherapeutischen Praxisstelle der Universität Bern sowie regelmässige Supervision und Selbsterfahrung. Insgesamt dauert die Weiterbildung mindestens vier Jahre, bis man den begehrten Titel in der eigenen Praxis an die Wand hängen kann.